Wahrnehmung, Kommunikation und Bewältigung industrieller Katastrophen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert
22. März 2012
Abschlusstagung des Netzwerkes „Industrielle Krisenkommunikation“
Industrielle Katastrophen führen bisher ein Schattendasein in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Dies erstaunt nicht nur angesichts aktueller Ereignisse – zu denken wäre neben Fukushima auch an die Bergwerksunglücke in Chile und China sowie den Chemieunfall in Kolontár/Ungarn im vergangenen Jahr – sondern auch mit Blick auf die Geschichte. Denn die Lebenswelten der Menschen in Europa, Nordamerika und Teilen Ostasiens sind seit rund 150 Jahren durch industrielle Entwicklungen geprägt. Diese Entwicklungen sind von Technikeuphorie und Fortschrittserwartungen, zugleich aber auch einem zunehmenden Bewusstsein für die entgrenzten Risiken der Technisierung begleitet. Industrielle Katastrophen sind Marksteine in diesem Spannungsverhältnis von Hoffnungen und Befürchtungen. Sie werden einerseits als unvermittelt und nicht vorhersehbar wahrgenommen. Andererseits sind sie seit dem 19. Jahrhundert Gegenstand von Versicherungshandeln und erscheinen in dieser Hinsicht als kalkulierte Risiken.
Dies hat Folgen für die Kommunikation des Geschehens. Ihm wird mit sprachlichen Mustern begegnet, die dazu geeignet sind, Interpretationszusammenhänge zu eröffnen. Dies ist mit Blick auf die materielle Dimension unabdingbar. Denn industrielle Katastrophen zeichnen sich, je weiter wir uns der Gegenwart nähern umso mehr, durch ihre grenzüberschreitende Zerstörungswirkung aus. Die diskursive Verhandlung des Geschehens begleitet die praktische Bewältigung von Verwüstung und häufig auch Tod, körperlicher oder seelischer Verletzung. In diesem Sinne stellen industrielle Katastrophen stets auch Kulminationspunkte einer Auseinandersetzung über jene Risiken dar, die eine Gesellschaft bei der Nutzung von Technologien einzugehen bereit ist.
Vor diesem Hintergrund fragt die Tagung nach der Wahrnehmung und Kommunikation aber auch nach den materiellen Wirkungen und praktischen Bewältigungsstrategien von industriellen Katastrophen. Sie nimmt dabei unterschiedliche Branchen und Akteursgruppen in den Blick: Mit Bergbau, Chemieindustrie und Kerntechnik fokussiert sie auf Schlüsselindustrien unterschiedlicher Zeiten. Diese stehen oder standen jeweils für gesellschaftliche Prosperität und technische Innovationen, bergen aber zugleich im Falle der Katastrophe ein erhebliches Vernichtungspotential in sich. Bei den Akteuren gilt es einerseits die Betroffenen in Stadt und Region ebenso wie eine medial konstruierte (Welt-)Öffentlichkeit in die Analyse einzubeziehen. Andererseits stehen Verantwortungsträger und Experten aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Medien im Fokus des Interesses. Die Konstitutions- und Interaktionsformen dieser jeweils zu bestimmenden Gruppen können Auskunft über praktische wie diskursive Auffassung und Reichweite der Katastrophe geben.
Donnerstag, 22. März 2012
14:00 Uhr: Ankunft und Begrüßung
14:30 Uhr: Katja Patzel-Mattern: Einführung
Vorsorge und Versicherung
Moderation: Clemens Wischermann
15:00 Uhr: Christoph Wehner: Insuring the Atom. Versicherungsexpertise, Sicherheitsproduktion und Atomgefahr in den USA und der Bundesrepublik, 1953-1979
16:00 Uhr: Sebastian Knoll-Jung: Ist ein Massenunglück nur ein Arbeitsunfall mit mehreren Opfern? – Öffentliche Wahrnehmung, Unfallerfahrungen und Unfallversicherungspraxis in Kaiserreich und Weimarer Republik
17:00 Uhr: Pause
17:15 Uhr: Sebastian Haumann: Katastrophenvermeidung im Kalkabbau des 19. Jhs.: Technologische Entwicklung, Regulierung und Materialität
Freitag, 23. März 2012
Wahrnehmung und Kommunikation
Moderation: Bernhard Kleeberg
09:00 Uhr: Andreas Schwarz: Industrielle Katastrophen im internationalen Kontext. Überlegungen zum Einfluss von Kultur auf Krisenkommunikation und Krisendeutung
10:00 Uhr: Neena Gupta Biener: Influence of culture on communication of disasters: a new theoretical approach for analyzing communication and discourse between institutions in different cultures
11:00 Uhr: Pause
11:15 Uhr: Karena Kalmbach: Die Tschernobyl-Rezeption im internationalen Vergleich
12:15 Uhr: Christian Haller: Katastrophenwahrnehmung und -verarbeitung in Fachzeitschriften am Beispiel des Explosionsunglücks der BASF vom 21. September 1921
13:15 Uhr: Mittagspause
Moderation: Reinhold Reith
14:45 Uhr: Stefan Böschen: Krisenkommunikation und wissenskulturelle Differenz
15:45 Uhr: Thilo Jungkind: Risikokommunikation als Kulturprodukt – Das Beispiel der deutschen chemischen Industrie nach 1945
16:45 Uhr: Pause
17:00 Uhr: Lionel Loew: Seveso 1976: Wahrnehmung und Kommunikationskrise
18.00 Uhr: Barbara Adam: Catastrophe through a temporal lens
Samstag, 24. März 2012
Sinnstiftung und Zukunftsgestaltung
Moderation: Frank Uekötter
9:00 Uhr: Alfred Reckendrees: Das Grubenunglück auf der Grube Gouley 1834
10:00 Uhr: Katja Patzel-Mattern: Stillstand aller Uhren oder unverdrossenes Weiterschreiten? Zur sprachlichen Aneignung industrieller Unfälle am Beispiel der Explosionsunglücke bei der BASF 1921 und 1948
11:00 Uhr: Pause
11:15 Uhr: Constantin Canavas: Negotiating the future of the disaster Perspectives concerning sites with catastrophe heritage
12:15 Uhr: Abschlussdiskussion
Do-Sa, 22.-24. März 2012
Universität Konstanz
Kontakt
Marc M. Wallaschek
Universität Konstanz
Fachbereich Geschichte und Soziologie
Fach D 10
78457 Konstanz
Tel. 07531 88-2490
marc.wallaschek[at]uni-konstanz.de
Veranstalter
Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Universität Heidelberg
Prof. Dr. Clemens Wischermann, Prof. Dr. Bernhard Kleeberg, Universität Konstanz